Von der Theorie zur Praxis zur Diskurswerkstatt?

Ungleichheitsprobleme sind keine Sprachprobleme – oder doch? Vor dem Hintergrund dieser Frage fand im Sommer 2023 vom 20. bis 22. Juni erstmals unser Format der Diskurswerkstatt auf dem Campus der Universität Siegen statt. Unser Ziel war es, Universität und Gesellschaft durch einen lebendigen Lernraum zu bereichern und neu zu verbinden. Gemeinsam mit Lehrenden unterschiedlicher Fachbereiche organisierten wir die dreitägige Veranstaltung, die sich dem Oberthema „Ungleichheit“ aus sprach- und diskurswissenschaftlicher Perspektive widmete. Dabei setzten wir auf kooperatives Lernen, selbstgewählte Themenschwerpunkte, Dialog auf Augenhöhie sowie Arbeit an Praxisbeispielen, um mit allen Teilnehmenden praxisnahe Lösungsansätze für mehr Teilhabe und faire gesellschaftliche Bedinungen zu entwickeln.

Themen und Ziele: Soziale Ungleichheit & partizipative Kommunikation

Wir setzten unseren Fokus auf das Zusammenspiel von Sprache und gesellschaftlicher Teilhabe in alltäglichen und professionellen Lebensbereichen, die – ob absichtlich oder nicht – mit Recht, Politik, Medien, Wissenschaft und Technologie in Berührung kommen. Wir wollten insbesondere die Menschen, die später professionell mit Sprache arbeiten werden, für partizipative Kommunikation in all ihren Facetten und ihre sozialen Bedingungen sensibilisieren. Diese Zielsetzung war ein zentraler Bestandteil unseres Programms und prägte dessen Ausrichtung maßgeblich. Unser Anspruch ging dabei über die Beschreibung von Problemfeldern hinaus: So entwickelten wir mit angehenden Fachkräften aus den Bereichen Sprache und Kommunikation Ansätze, wie in der öffentlichen Kommunikation angemessener über Armut und Reichtum gesprochen werden kann, um politische Alternativen besser zu verstehen bzw. erkennen zu können.

Methoden und Möglichkeiten: Diskursive und kooperative Lernformen als Rahmen

Das sprach- und diskurswissenschaftliche Kernprogramm wurde durch Einblicke in öknomische Ungleichheit, Gesetzgebungsprozesse und mediale wie technologische Repräsentationen sozialer Themen ergänzt. Eine Gesprächsrunde mit Alexander Wohnig, Professor für Politische Bildung, begleitete zudem die Vorführung des Films „Die Klasse“ (2006). Der Film bot Einblick in die Dynamiken von Sozialisation und Bildung im schulischen Kontext und illustrierte die Rolle von Lehrkräften und Institutionen bei der Reproduktion sozialer Ungleichheit. In der anschließenden Diskussion konnten die Teilnehmenden diese Themen im Hinblick auf ihre eigene Position im Bildungssystem reflektieren.

Musik, Grillabende und offene Gesprächsrunden boten Raum für informellen Austausch, der die Zielsetzung der Veranstaltung vertiefte und den sozialen Zusammenhalt zusammen mit fachlichem Lernen in den Vordergrund stellte. Gleichzeitig wurden autonome Lernformen gefördert, indem die Teilnehmenden die Gestaltung des Lernraums aktiv mitbestimmten. Das Team von Diskursiv war dabei als anleitende Mentoren stets präsent, ansprechbar und als fachliche Ansprechpartner einbeziehbar. Diese Mischung aus fachlicher Tiefe und informellem Austausch ermöglichte es den Teilnehmenden, sich interaktiv und kreativ mit den Herausforderungen sozialer Ungleichheit auseinanderzusetzen.

Beitrag von diskursiv e.V.

Am ersten Tag leiteten Mitglieder unseres Teams zwei Workshops:

  • Vor dem Gesetz – Lobbying in der Rechtsetzungsphase: Eine Analyse der sprachlichen Strategien, die bei der Einflussnahme auf Gesetzgebungsprozesse eingesetzt werden.
  • Sprachbiographien – Zum Zusammenhang von Sprache und sozialer Herkunft: Eine Auseinandersetzung mit individuellen Sprachgeschichten und ihrer Bedeutung für soziale Ungleichheit.

Der zweite Tag bot ein umfangreicheres Workshop-Programm mit insgesamt fünf Angeboten:

  • Lobbypost im Bundestag: Eine Untersuchung der sprachlichen Strategien in Schreiben an Bundestagsabgeordnete.
  • Wie kann partizipativer Diskurs unter gleich Ungleichen gelingen?: Alltägliche Diskursstrategien für mehr Teilhabe und Verständigung.
  • ChatBots – Sprache und Diskriminierung durch Sprachmodelle?: Eine kritische Auseinandersetzung mit algorithmisch produzierter Sprache und reproduzierten Stereotypen.
  • Sprachliche Legitimation sozialer Ungleichheit: Die Aufdeckung sprachlicher Muster und Argumentationsstrategien in Politik und Medien.
  • Let’s Play: „Papers, Please!“ – Sprache, Macht und Ungleichheit: Eine didaktische Perspektive auf die Thematisierung von Machtstrukturen und sprachlicher Teilhabe in Computerspielen.

 

Mehr Informationen zur Diskurswerkstatt und koopierierenden Organisationen finden sich zudem hier.

 

Impressionen:

Partizipation organisieren (1/2)

Lernorte, Zeitplan und frei zugängliches Workshopangebot wird morgens im Plenum besprochen und der Tagesverlauf vereinbart.

Partizipation organisieren (2/2)

Lernorte, Zeitplan und frei zugängliches Workshopangebot wird morgens im Plenum besprochen und der Tagesverlauf vereinbart.

Gemeinsam gestalten (1/2)

Gemeinsam mit den Teilnehmenden wurde der zur Verfügung gestellte Campus mit Zelten, Bänken und Erfrischungsmöglichkeiten umgestaltet.

Gemeinsam gestalten (2/2)

Gemeinsam mit den Teilnehmenden wurde der zur Verfügung gestellte Campus mit Zelten, Bänken und Erfrischungsmöglichkeiten umgestaltet.

Lernen begleiten (1/2)

Das Team von diskursiv e.V. moderiert die gemeinsamen Arbeitssitzungen im Plenum und unterstützt die einzelnen Arbeitsgruppen.

Lernen begleiten (2/2)

Das Team von diskursiv e.V. moderiert die gemeinsamen Arbeitssitzungen im Plenum und unterstützt die einzelnen Arbeitsgruppen.

Workshops (1/2)

In fachübergreifenden Workshops von diskursiv e.V. erkunden die Teilnehmenden Chancen und Hürden gesellschaftlicher Teilhabe.

Workshops (2/2)

In fachübergreifenden Workshops von diskursiv e.V. erkunden die Teilnehmenden Chancen und Hürden gesellschaftlicher Teilhabe.

Freiräume nutzen (1/2)

Die gemeinsame Gestaltung der Diskurswerkstatt eröffnet Raum für fachlichen und informellen Austausch unter den Teilnehmenden und erlaubt kreative Aktivitäten.

Freiräume nutzen (2/2)

Die gemeinsame Gestaltung der Diskurswerkstatt eröffnet Raum für fachlichen und informellen Austausch unter den Teilnehmenden und erlaubt kreative Aktivitäten.

Perspektiven entwickeln (1/2)

Die Diskurswerkstatt schließt mit gemeinsamen Diskussionen und dem Zusammenbringen der Ergebnisse aller Arbeitsgruppen ab.

Perspektiven entwickeln (2/2)

Die Diskurswerkstatt schließt mit gemeinsamen Diskussionen und dem Zusammenbringen der Ergebnisse aller Arbeitsgruppen ab.

Unser Fazit: Los geht’s!

Die Diskurswerkstatt bot uns den Rahmen, um wissenschaftliche Erkenntnisse und gesellschaftliche Fragestellungen in einem praxisorientierten Kontext zu verbinden. Die Teilnehmenden konnten in einem partizipativen und selbstwirksamen Umfeld gemeinsam an Lösungsansätzen arbeiten und neue Denkansätze für die Praxis entwickeln. Gleichzeitig bot die Veranstaltung dem angehenden Team von Diskursiv e.V. die Möglichkeit, die eigene Vermittlungsstrategien zu reflektieren und ihre Rollen als Organisatoren und Mentoren weiterzuentwickeln. Dabei reifte die Motivation und Idee, eine Akademie für Partizipative Kommunikation in die Tat umzusetzen, immer weiter heran. Das Feeback der Teilnehmenden bestärkten uns endgültig darin, dass die Umsetzung dieser Idee nicht nur möglich war, sondern auch unserem Wunsch als Wissenschaftler:innen, akademisches Wissen zugänglich zu machen und es aktiv in gesellschaftliche Prozesse einzubringen, entsprach. Die Diskurswerkstatt war somit der erste Versuch, die vage Idee einer Akademie in die Tat umzusetzen. Zukünftige Diskurswerkstätten werden sich weiter mit Fragen der digitalen Teilhabe, der kommunalen Teilhabe und partizipativen Kommunikation in Medien und Politik auseinandersetzen.